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KeramikMagazinEuropa 5.06 |Gabi Dewald

Farbrausch, Dripping, Flower Power
Glasurmalerei von Carola Gänsslen

Alles ist grau. Grau ist der Regen, grau der Stuttgarter Haupt- bahnhof, grau ist die unsägliche Nachkriegsarchitektur der Innenstadt, die Straße, der Bus ­ grau. Ich aber bin auf der Jagd nach Farbe. Und die Fährte führt zu Carola Gänsslen. Immerhin: Die Haustüre: heftiges Orange. Doch als die Kera- mikerin die Tür öffnet trägt sie: weiß. Man kennt ihre Keramik. Oder besser gesagt: Wer sie einmal gesehen hat ­ allzumal KennerInnen der Materie ­ vergisst sie nicht mehr. Das reinste Farbgewitter; ein Sturm von leuchtenden Rot-, Orange- und Gelbtönen fegt über ihre weit auslandenden Schalen und straff gespannten Kannen, ein wahrer Orkan an hochaktiven Farben, der sich in exotischen Blumenmustern, ineinander sickernden Farbverläufen, in sich repetierenden Mustern oder ringförmig an- geordneten Bemalungen entlädt. Allzumal auf den breiten Fah- nen ihrer eleganten flachen Schalen wird ein wahres Feuerwerk abgebrannt. Und wie beim Feuerwerk, wenn sich vor einen rasch verglühenden Farbregen der nächste schillernde Funkenvorhang legt und immer so fort, erscheinen die Farben in einem viel- schichtigen Übereinander. Das ist neben der ausgesprochen lebhaften Farbpalette wahr- scheinlich das Verblüffenste an Gänsslens Technik, für die zumin- dest ich derzeit keine Parallele kenne. Und es erinnert auch ei- gentlich zu allerletzt an Keramik. Vielmehr fühlt man sich an Aquarelltechniken und noch viel stärker an geradezu schwelgende Ölmalereien erinnert, zumindest, was Gänsslens florale Motive betrifft. Dabei wäre fast alles schief gegangen, zumindest anders gekommen. Obwohl es sich bei Gänsslens ehemaligem Lehrher- ren, Fritz Göllner, anscheinend um einen wahren Talente-Schmied handelte: Auch Stefanie Hering und Joachim Lambrecht starteten dort ihre keramischen Karrieren. Doch nach der Töpferlehre und der Beendigung der Fachschule in Höhr-Grenzhausen, wollte die frischgebackene Meisterin "eigentlich noch was ganz an- deres machen". Als ihr jedoch bald darauf die Möglichkeit gebo- ten wird, in der Köln Messe auszustellen und ihre Arbeiten dort auf Anhieb einschlagen, wagt sie den Schritt nach Frankfurt, wo sie seither kontinuierlich auf der Messe ausstellt. "Für mich ist das ideal", sagte sie als eine der wenigen Kunsthandwer- kerInnen, die die AMBIENTE resp.TENDENCE überhaupt noch besuchen, bzw. dort wirkliche Geschäfte machen. Immer wieder sind ihre Stücke auf der Sonderschau FORM zu sehen. Carola Gänsslen füllt auf den internationalen Konsumgütermessen - grade so, wie man es aus den Erinnerungen renommierter KeramikerInnen kennt ­ zweimal im Jahr ihr Auftragsbuch, geht dann zurück in ihre Stuttgarter Werkstatt und ist danach damit beschäftigt, ihre Bestellungen auszuführen und zu liefern. "Anders könnte ich das gar nicht bewältigen", sagt die Mutter dreier Kinder, die auch ansonsten einen eher zurückhaltenden Eindruck macht. Nachdem sie in den 80er Jahren in den wichtigen Wettbewerben (Westerwald 1985, Richard Bampi 1987, Frechener Keramikpreis 1989) zu sehen war, stehen heute an- scheinend weniger möglicherweise zu erringende Meriten, denn die künstlerische Produktion und deren bewältigbare Ver- marktung im Vordergrund. Ihre Werkstatt, im Souterrain, rückwärtig am Haus gelegen und mit einer vorgelagerten klei- nen Gartenoase ausgestattet, hat denn auch gar keinen öffentlichen Charakter. Hier wird sich, wann immer sie Zeit dazu findet, zurückgezogen und gearbeitet. Punkt. Doch die Suche nach dem "anderen" führt Gänsslen zur Ent- deckung der Farben: "Farben sind meine Welt". Und sie beginnt, sich diese Welt entsprechend bunt auszumalen. Zunächst verwendet sie mehr dunkle Töne. Mit einem temperamentvollen Duktus, der an gestische Abstraktion erinnert und mit gelegent- lichen gegenständlichen Anleihen, sind die Keramiken drama- tischer, haben krassere hell-dunkel Kontraste als heute. Über matten Pastelltönen liegen mit breitem, spritzendem Pinsel satt aufgetragene schwarze Zonen, feine dunkle Linien akzentuieren hie und da eine Form. Dem folgt die Periode wilder, überbor- dender Blumendekore. Die Palette wird heiterer und bleibt über- wiegend in einer Helligkeitszone: dottergelb und apfelsinen- orange, hibiscusrot und altrosa, ein sattes Creme und dazwischen Resedagrün und Vergissmeinnichtblau ­ in der Werkstatt stehen diese Farben, angerührt in kleinen Keramikkelchen, zum Malen bereit und lachen einen mit ihren bunten Farbaugen an. Die Methode, die Farben übereinander zu malen, bzw. zu brennen perfektioniert Gänsslen jetzt. Zunächst werden die Steinzeugscherben mit einer seidenmatten, warmweißen Grund- glasur gebrannt. Die Formen, eine überschaubare Zahl von selbst entworfenen und gefertigten Prototypen, sind gespannt, mit großen, ruhigen Flächen, die hinterher die Bemalung optimal präsentieren. Darauf werden großzügige Farbzonen aufgebracht. Das kann sehr präzise sein oder auch mit breitem, spontanem Pinsel- schwung passieren. Dabei kann es sich um laute Töne handeln, oftmals sind es aber

 

 


pastellfarbene, wolkige Untergründe,bläulich, zartgrün, gelblich, mit verschleierten Übergängen und Ausläufen. Bei kleineren Schalen etc. sind es vorwiegend Streifendekore, die auch im Weiteren nicht so aufwändig ge- staltet werden wie die großen Stücke. Die derart vorgestalteten Gefäße werden nach einem nächsten Brand weiter bemalt. Nun setzt das genaue, jahrelange Erfahrungswissen der Keramikerin mit ihren malerischen Mitteln ein. Die Malfarben müssen richtig eingestellt sein. Deren Dicke bzw. Wässrigkeit muss stimmen, um sowohl pastoses Stehen, als auch schlieriges Ineinander- laufen zu ermöglichen, sowohl eine fettglänzende Fläche und satt leuchtende Punkte als auch ein aquarellartiges, schweben- des Übereinander der Farben zu gewährleisten. Das benutze Malweiß hat dabei eine dünne, wie geronnen wirkende Be- schaffenheit und damit stets die Wirkung durchsichtigen Stoffes. Gänsslen beherrscht insbesondere die Nass-in-Nass-Malerei souverän und in vielen verschiedenen Nuancen. Sie kann sowohl eine eindeutig erkennbare Blüte plastisch hervortretende lassen, wie auch in einer Mischung aus Aktionpaiting und psychode- lischem Farbrauschen einen Wirbel von Aktion und Ereignis hervorrufen, kann einen regelmäßigen "Wickel-Effekt" erzeugen, wie man es von alten Tapeten kennt, oder auch transparente Leichtigkeit der Formen. Darüber hinaus bedient sie sich der Wischtechnik. D.h. sie nimmt noch nasse Farbaufträge sehr präzise über schon ge- brannten Schichten ab und schafft so beispielsweise eine Art Guckfenster in tiefer gelegene Farbräume. Auf einer blauen, wie marmoriert wirkenden Ballonvase etwa, gibt ein solcher Aus- schnitt den Blick frei auf etwas, das an eine starkfarbige Super- nova vor nachtschwarzem Hintergrund erinnert: ein Bullauge ins All. - Oder sie beendet plötzlich eine orgiastische Farbschwelge- rei scharf und übergangslos an einer weiter zum Schalenzentrum hin gelegenen Abfolge konzentrisch laufender Farbkreise. Im Gegensatz zum Glasurbrand (1250°C) werden die darauffolgen- den Dekore, inklusive dem verwendeten Aufglasurgold, bei 750°C eingebrannt. Oftmals wandern die Gefäße dabei mehr als drei-, viermal in den Elektroofen und zurück auf die Ränder- scheibe. Eben so lange, bis das "Bild" stimmt. Keine Frage: ein ausgesprochen zeitintensiver Prozess. Kommt es dann auch noch zu Gegenständen wie etwa ihren Teekannen, werden die Dinge auch noch formal enorm aufwändig. Ganz im Gegenteil zu den anderen großzügigen, ruhigeleganten Formen, die mit ihren kleinen ausgedrehten Standfüßen und weitausla- denden Fahnen oder Bäuchen eine saubere Drehtechnik erfordern, verfügen diese über jede Menge dreidimensionaler Details. Es sind gespreizte Exaltiertheiten, die mit jeder Menge Extravaganzen versehen sind. Sie haben zierliche, weit vorra- gende Tüllen und krallenartige, ebenfalls vergoldete Füßchen, Pagodendeckelchen auf den gebäckartige Kisschen mit ver- schnörkelten Knäufchen (Pistazien? Peperoni?) ruhen, die monogrammartig verschlungenen Henkel in Feuerrot sind an die wie geschnürt wirkenden Kannenkörper montiert. Werden diese kapriziösen Schöpfungen in der Tat benutzt? Carola Gänsslen lacht ­ wohl eher nicht, vermutet sie. Und will doch ansonsten ihre Sachen nicht als Selbstzweck, gar als Kunst sehen. Bei- spielsweise ihre Schalen, ihr vorrangiges Thema. Die sollten in keinem Falle als Wandteller enden, "da bin ich ganz strikt", sagt sie. "Das ist ein Gefäß". Sie macht keine Skizzen , "die Bewegung kommt aus der Hand", sagt sie, "was mit der Farbe passiert, entscheidet sich anhand und auf der Form". Neuerdings versuchte sie sich vermehrt mit geometrischen Muster, Streifen, Kreisen, Karos. Außen bleiben die Dinge meist mit einem menningefarbigen Orange mono- chrom bemalt. Dazu werden gerade die großen, fast 50 cm weit gespannten Schalen oftmals in lederhartem Zustand mit dem Abdreheisen derart bearbeitet, dass metallartige, scharfkantige Rillen entstehen, die Gefäßränder tragen häufig einen unauf- dringlichen Goldreif, nicht mehr wie eine feine Leuchtspur im Licht. Doch sind Gänsslens Keramiken da am schönsten, wo sich der Blick in ihnen wie in einem Dschungel verirrt und verläuft. Wo sich Neues Wildes mit Aktionsmalerei und dem Flower Power der 70er Jahre vermischt, wo man sich in der Tiefe ihrer überbor- denden, sinnlichen Mal-Feste verliert, wo sich die Ebenen ver- mischen und alles wie im Rausch mit allem unentwirrbar und verflochten scheint. "Mein Fotograf fragt mich, welche Droge ich nehme," lacht sie. Die Farbaugen zwinkern mir zu: Keramik, natürlich. In enormen Dosen!

Nach Redaktionsschluss wurde Carola Gänsslen auf der Frankfurter Herbstmesse Tendence mit dem 2. Hessischen Staatspreis ausgezeichnet. Wir gratulieren!